Nachdem sich der junge Arzt vor mir auf dem Schuhabsatz
gedreht hatte und nachdem es dabei laut auf dem
Linoleumfußboden gequietscht hatte, schaute er mich direkt an.
Da wusste ich mit einem Male: „Das ist mein Arzt!“ Der Flur war
fensterlos und trist – mit seinen Neonlichtern an der Decke. Aber
die Augen des Arztes strahlten mich an, als er zu mir hinabsah.
„Der wird das schon richten“, dachte ich mir mit der
Lebenserfahrung, die man so im Alter von fünf Jahren hat. Meinen
linken Arm hatte ich mir gebrochen, als ich mit meinem ältesten
Bruder wild und ausgelassen gespielt hatte. Unser Papa hat mit
einem Holzlineal und einer Binde meinen Arm vorläufig
geschient, so dass er mir auf dem Weg ins Krankenhaus nicht weh
tat. Meine linke Hand konnte ich nicht mehr bewegen. Sie hing
schlaff herunter. Der junge Arzt löste die Binde und entfernte das
Holzlineal. Mit prüfendem Blick schaute er sich meinen Arm an –
und dann entschloss er sich: „Wir röntgen das.“ Ich wusste nicht,
was Röntgen ist, aber ich fühlte sofort, dass das jetzt der nächste
richtige Schritt sei. Ich vertraute diesem Arzt – schon allein
deshalb, weil er mit dem Absatz so schön auf dem Boden
quietschte, wenn er sich drehte. In diesem Arzt konnte ich mich
einfach nicht irren. Ich legte meinen Arm auf eine Metallkassette.
Ich sollte ruhig halten, nachdem man mir eine schwere Schürze
angezogen hatte. Dann verließen alle den Raum und es machte
kurz „Piep“. Mein Arzt verschwand mit der Kassette und kam nach
einigen Minuten wieder: „Wir werden jetzt deinen gebrochenen
Arm eingipsen. Für sechs Wochen wirst du einen Gips tragen.“ Ich
wusste, ich war in guten Händen. Die vielen Wochen schonte ich
mich, tobte nicht mit meinen Brüdern – und dann kam der Gips
wieder ab. Mein Arzt lächelte mich an. Ich war wieder heil. Alles
war gut. Doch am selben Abend lief ich mit meinem Bruder um
die Wette – und fiel wieder auf meinen linken Arm. Wieder hing
die Hand wie gelähmt nach unten. Ein Bewegen der Hand war
unmöglich. Meine Eltern fuhren mich spät am Abend wieder in die
Klinik. Und wer hatte Dienst? – Mein Arzt! Er schaute sich alles
genau an. Röntgenraum. Piepen. Warten. Mein Arzt kehrte zurück:
„Rüdiger. Dein Arm ist nicht gebrochen. Du kannst ihn bewegen.
Probiere es einmal.“ Das hätte ich niemand anders geglaubt.
Niemandem. Zu keinem anderen Arzt hätte ich solch ein
Vertrauen gefasst. Ich schaute auf meinen linken Arm. Ich
versuchte es. Ja. Meine Hand bewegte sich. Obwohl sie eben noch
wie gelähmt war. Mein Arzt drehte sich auf seinem Absatz, es
quietschte – und ich wusste: hier bin ich in guten Händen. Und das
wusste ich ... von der ersten Begegnung an.