Mein Vater war Schneider. Es war der Beginn eines neuen
Lebensabschnitts für mich, als mir mein Vater - als ich sechs Jahre
alt war - meinen ersten Anzug machte.
Es begann damit, dass mein Vater sorgfältig Maß an mir nahm.
Dazu musste ich gerade stehen und auch zwischendurch einmal
meine Arme weit von mir abstrecken.
Alle Zahlen notierte mein Vater auf einem großen Papierbogen -
der Schnittvorlage für Hose und Jackett. Und auf der
Schnittvorlage stand ganz oben mein Name: Rüdiger.
Ich kann kaum sagen, wie sehr mich das ehrte und wertschätzte,
dass mein Vater in diesem Projekt all seine Aufmerksamkeit und
all sein Geschick allein mir widmete.
Und dann - am nächsten Tag - kam die erste Anprobe. Sehr, sehr
vorsichtig musste ich in den Anzug hineinschlüpfen, der nur mit
einzelnen Heftnähten zusammenhielt.
Ich gab mir große Mühe, angemessen behutsam mit meinen
Armen und Beinen in die Kleider hineinzugleiten.
Mein Vater schaute sich alles an. Er wies mich an, ganz langsam
wieder meine Arme auszustrecken. Ja, hier und da musste noch
eine Naht aufgemacht und neu gesetzt werden, damit der Anzug
später auch wirklich alltagstauglich wurde.
Heute bewundere ich, wie mein Vater damals das
zweidimensionale Schnittmuster in ein dreidimensionales
Kleidungsstück verwandelte, das auch noch funktionell sein
musste. Tolle Leistung.
Aber eines hat sich mir darüberhinaus tief eingeprägt: Wenn der
Vater ein Kleid macht, dann wird alles mit Liebe und Sorgfalt
getan.